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Global
brutal
Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg
Michel Chossudovsky
Das Buch gibt es nur bei Zweitausendeins.
12.75 €
Nr. 18420.
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Vorwort zur
deutschen Ausgabe des Buches „Global brutal“ von Michel Chossudovsky.
Nach den tragischen Ereignissen des 11. September haben sich die USA
mit einer gewaltigen Demonstration militärischer Macht in ein kriegerisches
Abenteuer gestürzt, das die Zukunft der Menschheit bedroht. Nur wenige
Stunden nach dem Terrorangriff auf das World Trade Center und das
Pentagon wurden Osama Bin Laden und seine al-Qaida-Organisation ohne
Beweise als »Hauptverdächtige« identifiziert.
Außenminister
Colin Powell nannte die Angriffe »einen Akt des Krieges«, Präsident
George W. Bush bekräftigte in einer Fernsehansprache an die Nation
am selben Abend, dass er »keinen Unterschied zwischen den Terroristen«
machen würde, »die diese Taten begangen haben, und den ausländischen
Regierungen, die ihnen Unterschlupf gewähren«.
Der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey wies auf die »staatliche
Unterstützung« der Terroristen durch eine oder mehrere ausländische
Regierungen hin. »Ich glaube«, so sagte der ehemalige nationale Sicherheitsberater
Lawrence Eagleburger, »wir werden, nachdem wir in dieser Weise angegriffen
worden sind, unsere ganze Stärke demonstrieren und furchtbare Vergeltung
üben.«
In der Zwischenzeit plapperten die westlichen Medien die offiziellen
Verlautbarungen nach und stimmten »Strafaktionen« gegen zivile Ziele
in Zentralasien und dem Nahen Osten zu: »Wenn wir die Stützpunkte
und Lager unserer Angreifer hinlänglich aufgeklärt haben, müssen wir
sie in Schutt und Asche legen und das Gastland der Terroristen offen
oder verdeckt destabilisieren – unter Minimierung, aber Inkaufnahme
von Kollateralschäden.«
Der Öffentlichkeit als »Kampagne gegen den internationalen Terrorismus«
präsentiert, dient der Einsatz der amerikanischen Kriegsmaschine in
Wahrheit jedoch der Ausweitung der amerikanischen Einflusssphäre nicht
nur in Zentralasien und im Nahen Osten, sondern auch auf dem indischen
Subkontinent und in Fernost. Die USA sind zudem darauf aus, eine dauerhafte
militärische Präsenz in Afghanistan zu etablieren, das eine strategische
Position an der Grenze zur früheren Sowjetunion, zu China und dem
Iran einnimmt. Afghanistan liegt außerdem in unmittelbarer Nähe von
fünf Atommächten: Russland, China, Indien, Pakistan und Kasachstan.
Dieser Krieg findet statt auf der Höhe einer globalen Wirtschaftskrise,
die gekennzeichnet ist vom Niedergang staatlicher Institutionen, von
wachsender Arbeitslosigkeit, dem Zusammenbruch des Lebensstandards
in allen großen Weltregionen einschließlich Westeuropas und Nordamerikas
und dem Ausbruch von Hungersnöten in weiten Teilen der Welt. Diese
Krise ist weit gravierender als jene der 30er Jahre.
Darüber hinaus führt der Krieg nicht nur zur massiven Verlagerung
der Wirtschaftstätigkeit vom zivilen Sektor in den militärisch-industriellen
Komplex, er beschleunigt auch die Beseitigung des Wohlfahrtsstaates
in den westlichen Ländern.
Krieg und Globalisierung stehen in enger Beziehung. Die globale Wirtschaftskrise,
die den Ereignissen vom 11. September vorausging, hat ihre Wurzeln
in den »Marktreformen« der Neuen Weltordnung. Seit der Asienkrise
1997 sind die Finanzmärkte eingebrochen, eine Volkswirtschaft nach
der anderen geriet in eine tiefe Wirtschaftskrise, ganze Länder wie
Argentinien und die Türkei wurden von ihren internationalen Gläubigern
übernommen, wodurch Millionen von Menschen in elende Armut gestürzt
wurden.
Die Krise nach dem 11. September kündigt in vieler Hinsicht das Ende
der westlichen Sozialdemokratie und das Ende einer Ära an. Die Legitimität
des globalen Systems »freier« Märkte ist gestärkt und hat einer neuen
Welle von Deregulierungen und Privatisierungen Tür und Tor geöffnet.
Das wird schließlich zur privatwirtschaftlichen Übernahme aller öffentlichen
Dienstleistungen und der staatlichen Infrastrukturen führen, einschließlich
der Elektrizität, der kommunalen Wasserversorgung und Kanalisation,
der Autobahnen usw.
Darüber hinaus wurde besonders in den USA und in Großbritannien, aber
auch in den meisten Ländern der Europäischen Union (EU) das Rechtssystem
verändert. Der Rechtsstaat wurde außer Kraft gesetzt und die Fundamente
für einen autoritären Staat gelegt, ohne dass die wichtigsten Stützen
der Zivilgesellschaft dagegen in nennenswertem Umfang opponiert hätten.
Ohne jede Debatte wird der »Krieg gegen den Terrorismus« gegen die
so genannten »Schurkenstaaten« als notwendig erachtet, um die Demokratie
zu »schützen« und die innere Sicherheit zu stärken.
Statt nach den geschichtlichen Gründen des Krieges zu suchen, beschränkt
man sich auf bloße Parolen wie den »Kampf gegen das Böse« und die
»Jagd auf Osama Bin Laden«. Solche Verkürzungen und Entstellungen
sind Teil einer sorgfältig geplanten Propagandakampagne. Die Ideologie
der »Schurkenstaaten«, die das Pentagon bereits während des Golfkrieges
1991 entwickelte, dient als Rechtfertigung, um aus »humanitären Gründen«
Krieg gegen Länder zu führen, die sich nicht der Neuen Weltordnung
und den Grundannahmen des Systems »freier« Märkte fügen.
Seit dem Amtsantritt von George W. Bush haben Militär und Geheimdienste
in enger Abstimmung mit der Wall Street erkennbar die Zügel der Außenpolitik
übernommen. Da die Entscheidungen hinter den verschlossenen Türen
der CIA und des Pentagons fallen, verkommen die zivilen politischen
Institutionen der USA einschließlich des Kongresses immer mehr zur
Fassade. Während in den Augen der Öffentlichkeit weiter die Illusion
einer funktionierenden Demokratie vorherrscht, ist der US-Präsident
zu einer bloßen Kühlerfigur geworden.
Noch im Herbst 1999, also im Vorfeld des Präsidentschaftswahlkampfes,
demonstrierte der Gouverneur Bush in außenpolitischen Belangen weitgehende
Ahnungslosigkeit: »In zu vielen politischen Fragen, besonders jenen
globalerer Natur, klingt Bush häufig, als läse er vom Spickzettel
ab. Wagt er sich an internationale Themen, ist seine Unvertrautheit
mit Händen zu greifen, und selbst sein unerschütterliches Selbstvertrauen
schützt ihn nicht davor, Fehler zu machen.«
Und als ihn ein Journalist im Sommer 2000 fragte, was er über die
Taliban denke, »zuckte er nur ratlos die Schultern. Der Journalist
musste ein bisschen nachhelfen (Diskriminierung gegen Frauen in Afghanistan),
damit Bush wach wurde: Die Taliban in Afghanistan! Natürlich. Repressalien.
Ich dachte, Sie sprechen über irgendeine Rockgruppe. So gut informiert
über das Ausland ist also der mögliche künftige US-Präsident.«
Wer entscheidet in Washington? Angesichts einer großen militärischen
Operation, die Auswirkungen auf unser aller Zukunft und die globale
Sicherheit hat – ganz zu schweigen vom Einsatz von Atomwaffen –, ist
diese Frage von höchster Bedeutung. Übt der Präsident, abgesehen von
sorgfältig eingeübten Reden, wirkliche politische Macht aus, oder
ist er nur ein Werkzeug?
Unter der Neuen Weltordnung bestimmen die Militärplaner des Außenministeriums,
des Pentagons und der CIA die Außenpolitik der USA. Sie unterhalten
auch Kontakte zu Vertretern des IWF, der Weltbank und der Welthandelsorganisation
(WTO). Die internationale Finanzbürokratie in Washington wiederum,
verantwortlich für die mörderischen Wirtschaftsreformen, die sie der
Dritten Welt und den meisten Ländern des ehemaligen Ostblocks aufzwingt,
pflegt enge Beziehungen zum Finanzestablishment der Wall Street.
Die Mächte hinter diesem System sind die globalen Banken und Finanzorganisationen,
der militärisch-industrielle Komplex, die Öl- und Energiegiganten,
die Biotech-Konzerne sowie mächtige Medien- und Kommunikationsunternehmen
mit ihren gefälschten Nachrichten und offenkundigen Verzerrungen der
Weltereignisse.
Unter der Reagan-Regierung verwandten hochrangige Vertreter des Außenministeriums
Erlöse aus dem illegalen Drogenhandel dazu, Waffenlieferungen an die
Contras in Nicaragua zu finanzieren. Es ist bittere Ironie, dass diese
Verantwortlichen für die »Iran-Contragate«-Affäre heute Schlüsselpositionen
im engen Führungskreis um George W. Bush bekleiden.
»Bush hat sich Leute aus den zwielichtigsten Teilen der Republikanischen
Partei der 80er Jahre auserkoren, jene, die an der Iran-Contra-Affäre
beteiligt waren. Seine erste diesbezügliche Ernennung, die von Richard
Armitage als stellvertretender Außenminister, passierte im März ohne
Aufsehen per Akklamation den Senat.
Armitage diente in den Reagan-Jahren als Staatssekretär des Verteidigungsministeriums,
zuständig für internationale Sicherheitsfragen, aber seine erneute
Ernennung 1989 durch die Administration von George Bush wurde aufgrund
von Kontroversen über die Iran-Contra-Affäre und andere Skandale zurückgezogen.
Nach der Ernennung von Armitage berief Bush Junior Elliot Abrahms,
Staatssekretär im Außenministerium unter Reagan, in den Nationalen
Sicherheitsrat, zuständig für Demokratie, Menschenrechte und internationale
Operationen, ein Posten, dessen Besetzung vom Senat nicht gebilligt
werden muss. Abrahms hatte zugegeben, in den Anhörungen über die Iran-Contra-Affäre
zweimal den Kongress belogen zu haben, wurde aber später von George
W. Bush begnadigt.«
Armitage war auch während des Afghanistankrieges der Sowjets und danach
einer der Hauptarchitekten hinter der verdeckten, mithilfe des Drogenhandels
finanzierten Unterstützung der Mudschaheddin und der militanten Islamisten.
Daran hat sich nichts Grundlegendes geändert: Sie ist immer noch fester
Bestandteil der US-Außenpolitik. Darüber hinaus haben sich, wie ausgiebig
dokumentiert, durch den milliardenschweren Drogenhandel illegale Mittel
angehäuft, welche die CIA zur Finanzierung weiterer Operationen verwendet.
Nach dem 11. September lenken die USA staatliche Mittel in die Finanzierung
des militärisch-industriellen Komplexes um, Sozialprogramme werden
zusammengestrichen, staatliche Budgets umstrukturiert und Steuergelder
in die Aufrüstung des Polizei- und nationalen Sicherheitsapparats
kanalisiert. Der Kampf gegen den Terrorismus wird als Legitimationsgrundlage
benutzt, um das Rechtssystem zu untergraben und den Rechtsstaat zu
zerstören.
Dabei sollen die neuen Gesetze die Bürger gar nicht in erster Linie
vor dem Terrorismus schützen, sondern vor allem das System des freien
Marktes absichern. In Wirklichkeit geht es darum, die Bürgerrechte
zu unterminieren und nicht zuletzt die Entwicklung einer schlagkräftigen
Protestbewegung gegen den Krieg und auch gegen die Globalisierung
von vornherein zu unterbinden.
In den USA kriminalisiert das im Oktober 2001 verabschiedete Gesetzespaket
zur Bekämpfung des Terrorismus (Patriot Act) friedliche Proteste gegen
die Globalisierung. Im Sinne dieses Gesetzes sind alle Aktivitäten,
die dazu führen könnten, »die Politik einer Regierung durch Einschüchterung
und Zwang zu beeinflussen«, als terroristische Verbrechen interpretierbar,
also z.B. auch »eine Protestdemonstration, durch die eine Straße blockiert
und ein Krankenwagen an der Durchfahrt gehindert wird. Insgesamt stellt
das neue Gesetz einen der umfassendsten Angriffe auf die bürgerlichen
Freiheitsrechte in den letzten 50 Jahren dar. Es dürfte uns kaum mehr
Sicherheit bringen, aber es macht uns mit Sicherheit unfreier.«
Die vom Kongress abgesegneten Antiterrorgesetze stammen direkt von
den Militärs, der Polizei und den Geheimdiensten. Tatsächlich wurden
mehrere Merkmale der Gesetze schon vor den Terrorangriffen vom 11.
September, in Reaktion auf die Protestbewegung gegen die Globalisierung,
entworfen.
Im November 2001 unterzeichnete Präsident George W. Bush einen Erlass
zur Einrichtung von Militärtribunalen, vor denen künftige Terrorismusprozesse
verhandelt werden sollen: »Mit dieser Direktive liegt es im Ermessen
des Präsidenten, ob Personen aus den USA oder auch aus anderen Ländern,
die nicht die US-Staatsbürgerschaft haben und die der Beihilfe zum
Terrorismus beschuldigt werden, vor einem dieser Tribunale der Prozess
gemacht wird. Dies sind keine Kriegsgerichte, die die Rechte der Angeklagten
weit mehr re-spektieren … Justizminister John Ashcroft erklärte ausdrücklich,
dass Terroristen keinen verfassungsmäßigen Schutz genössen. Diese
Gerichte dienen nicht der Rechtsfindung, es sind ðAburteilungsgerichteÐ.«
Mit den neuen Gesetzen ist die Macht von FBI und CIA erheblich gestärkt
worden. Sie können nun z.B. Nichtregierungsorganisationen (NGO), Gewerkschaften,
Journalisten und Intellektuelle routinemäßig abhören und überwachen.
Die neuen Gesetze ermöglichen es daher der Polizei, ganz gewöhnliche
Bürger auszuspionieren:
»Die neuen Gesetze ermächtigen dieses Geheimgericht, in allen möglichen
Strafgerichtsverfahren Abhörungen und geheime Wohnungsdurchsuchungen
anzuordnen – und nicht nur auf Geheimdienstinformationen aus dem Ausland
zurückzugreifen. Das FBI darf nun Einzelpersonen und Organisationen
abhören, ohne an die strengen Anforderungen der Verfassung gebunden
zu sein … Umfassende Lektüre von E-Mails wird erlaubt, noch bevor
der Empfänger sie öffnet. Tausende von Unterhaltungen werden abgehört
oder gelesen werden, die nichts mit dem Verdächtigen oder irgendeinem
Verbrechen zu tun haben.
Die neuen Gesetze enthalten viele andere Ausweitungen von Befugnissen
für Fahndung und Strafverfolgung, darunter den vermehrten Einsatz
von verdeckten Ermittlern, um Organisationen zu infiltrieren, längere
Gefängnisstrafen und die lebenslange Überwachung von manchen Straftätern,
die ihre Strafe bereits abgesessen haben. Sie stellen zusätzliche
Tatbestände unter Todesstrafe und verlängern bei anderen die Verjährungsfristen
... Die Gesetze definieren ferner eine Reihe neuer Verbrechen. Am
bedrohlichsten für abweichende Meinungen und oppositionelle Haltungen
gegen die Regierungspolitik ist die Erweiterung des Tatbestandes des
Terrorismus. Er wird vage als Akt definiert, der menschliches Leben
bedroht, Strafgesetze verletzt und ðmöglicherweise darauf zielt, die
Zivilbevölkerung einzuschüchtern oder Zwang auf sie auszuüben … Damit
hätten auch die Demonstrationen in Seattle gegen die WTO als terroristisch
eingestuft werden können. Diese Verschärfung ist ebenso bedrohlich
wie überflüssig, denn es gibt bereits zahlreiche Gesetze, die zivilen
Widerstand unter Strafverfolgung stellen, ohne solche altehrwürdigen
Proteste als terroristisch zu qualifizieren und mit strengen Gefängnisstrafen
zu belegen ... Die US-Regierung versteht den Krieg gegen den Terrorismus
als dauerhaften Krieg, ein Krieg ohne Grenzen. Der Terrorismus macht
uns allen Angst, aber es ist ebenso beunruhigend, dass unsere Regierung
im Namen der Terrorismusbekämpfung bereit ist, auch die verfassungsmäßigen
Freiheitsrechte dauerhaft aufzuheben.«
Osama Bin Laden und seine al-Qaida dienen als einzige Begründung für
diesen Krieg. Die Bush-Regierung benutzt die Kampagne gegen den internationalen
Terrorismus nicht nur, um die umfangreiche Bombardierung ziviler Ziele
in Afghanistan zu rechtfertigen, sondern auch, um mit den Maßnahmen
gegen den inneren Terrorismus die verfassungsmäßigen Rechte und den
Rechtsstaat in den USA außer Kraft zu setzen.
Von den westlichen Medien entsprechend zurechtfrisiert, ist Osama
Bin Laden der neue Bösewicht. Er ist zugleich der Grund und die Folge
von Krieg und sozialer Verelendung. Er wird zudem für die Toten unter
der afghanischen Zivilbevölkerung verantwortlich gemacht, die doch
Opfer der US-Bombardierungen sind. US-Verteidigungsminister Donald
Rumsfeld schloss noch vor den Angriffen auf Afghanistan »den eventuellen
Einsatz von Atomwaffen« als Teil der Kampagne gegen Osama Bin Ladens
al-Qaida nicht aus.
Vorbemerkung.
Nur wenige Wochen nach dem blutigen Militärputsch in Chile am 11.
September 1973, bei dem die gewählte Regierung von Präsident Salvador
Allende gestürzt wurde, ordnete die Militärjunta unter General Augusto
Pinochet die Anhebung des Brotpreises von elf auf 40 Escudos an. Diese
enorme Steigerung von 364 Prozent von einem auf den anderen Tag war
Teil einer wirtschaftlichen Schocktherapie, das Werk einer Gruppe
von Ökonomen, die man die »Chicago Boys« nannte. Zur Zeit des Militärcoups
lehrte ich am Wirtschaftsinstitut der Katholischen Universität von
Chile. Dort wimmelte es von Ökonomen, die in Chicago ausgebildet worden
waren und der neoliberalen Lehre des Chicagoer Wirtschaftsprofessors
Milton Friedman folgten. Am 11. September, nach der Bombardierung
des Präsidentenpalastes La Moneda, verhängten die neuen Militärherrscher
eine 72-stündige Ausgangssperre. Als die Universität nach einigen
Tagen wieder öffnete, jubilierten die Chicago Boys. Nur wenige Wochen
später wurden mehrere meiner Kollegen von der Wirtschaftsfakultät
in Schlüsselpositionen der Militärregierung berufen.
Während die Lebensmittelpreise in den Himmel schossen, wurden die
Löhne eingefroren, um »wirtschaftliche Stabilität« zu sichern und
den »Inflationsdruck« abzuwehren. Über Nacht wurde das gesamte Land
in elendigste Armut gestürzt. In weniger als einem Jahr stieg der
Brotpreis in Chile um das 36fache. 85 Prozent der chilenischen Bevölkerung
wurden unter die Armutsschwelle getrieben. Diese Ereignisse haben
meine Arbeit als Ökonom tief geprägt. Ich erlebte mit eigenen Augen,
wie durch die Manipulation der Preise, der Löhne und Zinssätze das
Leben von Menschen zerstört wurde. Eine ganze Volkswirtschaft wurde
destabilisiert. Ich begann zu verstehen, dass die makroökonomische
Reform weder neutral war – wie die Hauptströmung der Volkswirtschaftslehre
behauptet – noch von den breiteren Prozessen sozialer und politischer
Transformation getrennt werden konnte. So konzentrierte ich mich in
meinen frühen Arbeiten auf die Funktion, die der so genannte »freie
Markt« als gut organisiertes Instrumentarium wirtschaftlicher Repression
in der Wirtschaftspolitik der chilenischen Militärjunta erfüllte.
Zwei Jahre später kehrte ich als Gastprofessor der Universidad Nacional
de Córdoba im industriellen Kernland Argentiniens nach Lateinamerika
zurück. Mein Aufenthalt fiel mit dem militärischen Staatsstreich von
1976 zusammen. Zehntausende von Menschen wurden verhaftet, verschleppt
und ermordet. Die militärische Machtübernahme in Argentinien war eine
exakte Kopie des von der CIA gelenkten Putsches in Chile. Auch hier
folgten den Massakern und Menschenrechtsverletzungen »marktliberale«
Reformen, dieses Mal unter Aufsicht der Gläubiger Argentiniens in
New York.
Die tödlichen Wirtschaftsrezepte des Internationalen Währungsfonds
(IWF) im Rahmen der »Strukturanpassungsprogramme« waren damals noch
nicht zur offiziellen Politik geworden. Aber die wirtschaftlichen
Maßnahmen in Chile und Argentinien im Stil der Chicago Boys waren
eine Generalprobe für Dinge, die noch kommen sollten. Bald trafen
die Verdikte des freien Marktsystems ein Land nach dem anderen. Seit
dem Ausbruch der Schuldenkrise in den 80er Jahren wendete der IWF
die gleichen wirtschaftlichen Gesundungsrezepte in mehr als 150 Entwicklungsländern
an. Ausgehend von meinen früheren Arbeiten in Chile, Argentinien und
Peru begann ich, die globalen Auswirkungen dieser Reformen zu untersuchen,
und kam zu der Überzeugung, dass eine Neue Weltordnung Gestalt gewann,
die sich unerbittlich von Armut und wirtschaftlichen Verwerfungen
nährte.
In der Zwischenzeit wurden die meisten Militärregimes Lateinamerikas
durch parlamentarische »Demokratien« ersetzt, betraut mit der schrecklichen
Aufgabe, die Volkswirtschaften ihrer Länder im Rahmen der von der
Weltbank betriebenen Privatisierungsprogramme unter den Hammer zu
bringen.
1990 kehrte ich an die Katholische Universität von Peru zurück, wo
ich nach dem Militärputsch von 1973 in Chile gelehrt hatte. Ich kam
in Lima an, als gerade der Wahlkampf um die Präsidentschaft voll entbrannt
war. Die Wirtschaft des Landes steckte in der Krise. Die scheidende
populistische Regierung von Präsident Alan García war vom IWF auf
die schwarze Liste gesetzt worden, hatte also keine Kredite mehr bekommen.
Neuer Präsident von Peru wurde am 28. Juli 1990 Alberto Fujimori.
Und nur wenige Tage darauf schlug die wirtschaftliche Schocktherapie
mit voller Wucht zu. Peru wurde abgestraft, weil es sich nicht den
Diktaten des IWF gebeugt hatte: Der Preis von Benzin stieg um das
31fache, der Brotpreis um mehr als das Zwölffache an einem einzigen
Tag. Der IWF – in enger Beratung mit dem US-Finanzministerium – zog
hinter den Kulissen die Fäden. Diese Reformen – durchgeführt im Namen
der Demokratie – waren noch weit vernichtender als jene, die in Chile
und Argentinien unter der Faust der Militärherrschaft zustande gekommen
waren.
In den 80er und 90er Jahren bereiste ich ausgiebig Afrika. Die Feldforschung
für die erste Ausgabe dieses Buches begann in Ruanda, das sich damals
trotz des hohen Armutsniveaus noch selbst mit Nahrungsmitteln versorgen
konnte. Aber seit Anfang der 90er Jahre wurde die funktionierende
Volkswirtschaft Ruandas zerstört, seine einst blühende Landwirtschaft
destabilisiert. Der IWF hatte die Öffnung des heimischen Marktes für
billige US-amerikanische und europäische Getreideüberschüsse verlangt,
angeblich mit dem Ziel, die ruandischen Bauern zu größerer »Wettbewerbsfähigkeit«
zu ermutigen (siehe Kapitel 7).
Von 1992 bis 1995 unternahm ich weitere Feldforschungen in Indien,
Bangladesch und Vietnam und kehrte nach Lateinamerika zurück, um meine
Untersuchung über Brasilien abzuschließen. In allen Ländern, die ich
besuchte, einschließlich Kenias, Nigerias, Ägyptens, Marokkos und
der Philippinen, beobachtete ich das gleiche Muster wirtschaftlicher
Manipulation und politischer Einmischung durch die internationalen
Finanzorganisationen in Washington. In Indien wurden als direkte Folge
der IWF-Reformen Millionen von Menschen in den Hunger getrieben. In
Vietnam, einer der prosperierendsten Reiswirtschaften, brachen lokale
Hungersnöte aus, die eine direkte Konsequenz der Aufhebung der Preiskontrollen
und Deregulierung des Getreidemarktes waren.
Nach dem Kalten Krieg, auf der Höhe der Wirtschaftskrise, reiste ich
in mehrere Städte und ländliche Gebiete Russlands. Die vom IWF geförderten
Reformen waren in eine neue Phase getreten und machten nun auch den
Ländern des ehemaligen Ostblocks schwer zu schaffen. Ab dem Jahr 1992
sind weite Teile der ehemaligen Sowjetunion vom Baltikum bis Ostsibirien
in bitterste Armut gestürzt worden. Die Arbeiten an der ersten Auflage
dieses Buches waren Anfang 1996 beendet, mit Ausnahme einer detaillierten
Studie über den wirtschaftlichen Zerfall Jugoslawiens (s. Kapitel
17). Dort wurde von den Weltbankökonomen ein »Bankrottprogramm« auf
den Weg gebracht, dem 1989/90 etwa 1100 Industrieunternehmen zum Opfer
fielen. Über 614.000 Arbeitnehmer verloren ihren Job. Aber das war
erst der Anfang einer viel durchgreifenderen wirtschaftlichen Zerstückelung
des jugoslawischen Bundesstaates.
Seit der Veröffentlichung der ersten Auflage hat sich die Welt dramatisch
verändert. Die Globalisierung der Armut hat mittlerweile alle großen
Regionen der Erde einschließlich Westeuropas und Nordamerikas erfasst.
Eine Neue Weltordnung wurde errichtet, die die nationale Souveränität
und die Rechte der Bürger untergräbt. Die neuen Regeln der 1994 gegründeten
Welthandelsorganisation (WTO) sichern den weltgrößten Banken und multinationalen
Konzernen verbriefte Rechte zu. Die öffentlichen Schulden sind explodiert
und die staatlichen Institutionen zusammengebrochen, während die Anhäufung
privaten Reichtums unerbittlich voranschreitet.
Die neuen Kapitel dieser zweiten Ausgabe wenden sich einigen der Schlüsselfragen
des 21. Jahrhunderts zu: der Fusionswelle und der Konzentration von
wirtschaftlicher Macht in der Hand der Konzerne, dem Zusammenbruch
der Volks- und Lokalwirtschaften, der Krise der Finanzmärkte, dem
Ausbruch von Hunger und Bürgerkrieg sowie dem Abbau des Wohlfahrtsstaates
in den meisten westlichen Ländern.
Ich bin vielen Menschen in vielen Ländern zu Dank verpflichtet, die
mir Einsicht in die Wirtschaftsreformen in ihren Ländern gaben und
mir bei den Untersuchungen vor Ort behilflich waren. Im Verlauf meiner
Arbeit kam ich in Kontakt mit Bauern, Industriearbeitern, Lehrern,
Beschäftigten im Gesundheitswesen, Staatsbediensteten, Mitgliedern
von Forschungsinstitutionen, Universitätsprofessoren und Mitgliedern
von Nichtregierungsorganisationen, mit denen ich Bande der Freundschaft
und Solidarität geschlossen habe. Dieses Buch ist ihrem Kampf gewidmet.
Ich danke dem Social Sciences and Humanities’ Research Council of
Canada und dem Faculty of Social Sciences’ Research Committee der
Universität von Ottawa für ihre Unterstützung.Die in diesem Buch vertretenen
Ansichten sind meine eigenen.
Siehe
auch unsere Kurzbeschreibungen von Büchern zu folgenden Themen:
Globalisierung,
Frieden
und Frauenbewegungen, Subsistenz
- Landwirtschaft, Ernährung,
Ökologie, Ökofeminismus,
Gen- und Reproduktionstechnik
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