frauen und frieden


Kosovo und anderswo: Krieg ist gut für die Wirtschaft

Ellen Diederich 1999

Dieses ist der 21. Ostermarsch, an dem ich teilnehme. Wir haben gegen Atomtests, gegen Atomwaffen, gegen den Vietnam Krieg demonstriert. Ich habe nicht damit gerechnet, daß ich in meinem Leben noch einmal bei einem Ostermarsch dagegen protestieren muß, daß deutsche Soldaten an einem Angriffskrieg in Europa beteiligt sind.

Jahrelang haben wir als Frauen humanitäre Hilfe geleistet. Während des Krieges Anfang der Neunziger im ehemaligen Jugoslawien hat die weltweite Frauenbewegung Millionen DM, Franc, Dollar, Lire, Peseten usw. gesammelt, um Frauenprojekte zu unterstützen, vergewaltigten Frauen psychologische Hilfe zu geben, Hunger und Elend einen Millimeter weit zu mildern. Wir haben also das gemacht, was Frauen meistens in Kriegen gemacht haben: die schlimmsten Auswüchse mildern, als Krankenschwestern und Ärztinnen, mit tiefem Mit-Gefühl und Mit-Leiden. Und nach den Kriegen haben wir als Trümmerfrauen wieder aufgebaut. Die Angst vor dem Krieg bleibt ein Leben lang.

Mit der Entwicklung der Frauenbewegung in den letzten dreißig Jahren haben wir aber auch andere Aktionen unternommen, haben uns selber ein Bild gemacht.
Wir sind in Kriegsgebiete gefahren, nach El Salvador, ins frühere Jugoslawien, in den Irak, nach Kurdistan, nach Chiapas, nach Afghanistan und anderswo. Wir haben versucht Aufklärung über das Schicksal von Gefolterten und Ermordeten zu machen, sind in Gefängnisse gegangen, haben versucht, auf andere Weise mit PolitikerInnen, mit Nato Generälen, mit Soldaten der Bundeswehr zu reden. Wir haben Stationierungsorte blockiert, sind in Atomtestgebiete gefahren und zu allen Gipfeltreffen, um dort die Stimmen der Frauen laut werden zu lassen.

Wir sind bei den Frauenfriedensmärschen Tausende von Kilometern zu Fuß durch Europa gegangen und haben mit jedem® BürgermeisterIn, jedem Stadtparlament geredet: Macht Eure Stadt zur atomfreien Zone.

Mit dem Frauenfriedensbus sind wir während des Ost-West Konfliktes durch Europa gefahren - Ost und West, um Feindbilder abzubauen, um zu sehen, wie leben die Frauen, die Männer, die Kinder in den Ländern, von denen man uns gesagt hat: Sie sind das Feindesland. Wir haben über den Zusammenhang von Krieg und Gewalt und die Interessen der Rüstungsindustrie geforscht.
Wir haben bei den Weltfrauenkonferenzen in Nairobi und Peking Orte geschaffen, an denen Frauen aus sogenannten Feindesländern in den Dialog kamen.
Wir wissen, wovon wir reden.

Während des Krieges gegen Bosnien, als die Vergewaltigungen als systematischer Bestandteil der ethnischen Säuberung bekannt wurden, haben wir gefordert: Die männliche Logik des Krieges durchbrechen und zu einer Logik des Friedens finden!

Vergewaltigung als Kriegsstrategie, die totale Erniedrigung der Frau ist immanenter Bestandteil jeden Krieges. Frauen werden durch Kriege instrumentalisiert, als Flüchtlinge, als Mütter, Schwestern, Töchter, Freundinnen gefallener Soldaten, als diejenigen, die die Wunden heilen sollen, die sie nicht verursacht haben, als Opfer von Gewalt und Vergewaltigung.

Krieg und Völkermord müssen gestoppt werden.

Wir lehnen kategorisch jede militärische Intervention ab. Jede Form der Intervention fordert unzählige neue Opfer. Wir befürchten zudem, daß im Falle einer Intervention der Krieg auf Kosovo und Mazedonien ausgeweitet würde.

Waffen bringen keinen Frieden.
Unsere Forderungen von 1992!

Im Krieg in Bosnien haben wir uns noch darauf eingelassen, humanitäre Hilfe zu leisten. Zuletzt mußten wir für jedes Kilo Mehl, das wir herunter geschickt haben, ein Zertifikat nachweisen. (Die ganzen humanitären Hilfsaktionen sind ebenfalls zu einem großen Geschäft geworden! Die Waren werden hier eingekauft, unterstützen unsere Ökonomie, nicht etwa die der ausgebluteten Länder)
In der selben Zeit sind Waffen mit dem Zehntausendfachen an Wert dessen, was wir aufbringen konnten, in die verschiedenen Teile des ehemaligen Jugoslawien geliefert worden. Im Flugzeug nach Zagreb oder Sarajevo saßen die Rüstungsexporteure vor oder hinter uns und unterhielten sich sehr offen über ihre Geschäfte.
Seit dieser Zeit haben wir uns intensiv mit der Rüstungsindustrie beschäftigt.
Wir haben heraus gefunden:

Krieg ist gut für die Wirtschaft

Am 4. April wird die NATO 50 Jahre alt. Wenn ein Mensch fünfzig Jahr alt wird, ist gewöhnlich davon auszugehen, daß er oder sie weise werden. Die Nato bestimmt nicht. Die NATO ist das reichste Militärbündnis der Menschheitsgeschichte. Das Budget, das die NATO in einem und einem halben Tag zur Verfügung hat, ist das gleiche, was die Vereinten Nationen für ein Jahr haben. Für all ihre Hilfsprogramme und friedenserhaltenden Maßnahmen. Übrigens: Die Nato und Clinton stehen auf der Vorschlagsliste für den Friedensnobelpreis! Die Rüstungsindustrie, allen voran in den USA boomt. Möchte man nicht bei den Nachrichten aus Wallstreet den Fernseher aus dem Fenster schmeißen? Zum ersten Mal steigt der DOW Jones über die Marke von 10.000, Jubel in Wallstreet. Die USA haben weltweit ihren Anteil von ca. 40% auf 62% der Rüstungsexporte seit dem Ende des Ost-West Konfliktes steigern können. Wir leben noch immer im Kapitalismus. Waren, die produziert werden, müssen auch verkauft und benutzt werden, damit wieder neu produziert werden kann. Das gilt auch für die Waren der Rüstungsindustrie.

Antiamerikanismus? Nein, bestimmt nicht. Seit vielen Jahren sind wir mit der Frauen- und Friedensbewegung in den USA verbunden. Das Internationale Frauenfriedensarchiv wird seit 15 Jahren durch eine US-amerikanische Frauenfriedensstiftung unterstützt. Wir stimmen da mit unseren US-amerikanischen FreundInnen voll überein. Nur wird über diese Übereinstimmung nicht in den Medien berichtet.

Die Rüstungsindustrie braucht Feindbilder.
Denn die sind Voraussetzung dafür, daß "guten Gewissens" mit Pathos vorgetragen, aufgerüstet werden kann.
Die Rüstungsindustrie braucht Kriege.
840 Millionen DM kostete die Stationierung der deutschen Soldaten im ersten Schritt jetzt im Kosovo. Der Betrag wird zusätzlich mal eben aus dem allgemeinen Haushalt genommen, nicht aus dem des Kriegsministeriums. Da sind die Kosten für die Kampfflugzeuge, ein Tornado kostet 86 Millionen DM, für die Marschflugkörper und Bomben nicht mit drin. Da ist die Ausbildung nicht mit drin, der Unterhalt der Kasernen und alles, was zur Militärmaschinerie gehört. 125 Millionen US Dollar kostet dieser Krieg pro Tag. Ein Intercontinental Tarnkappenbomber Stealch kostet 2.1 Miliarden US Dollar inclusive der Entwicklungskosten. Die Nato probiert über Serbien und Kosovo ihre neuen Generationen von High Tech Waffensysteme aus.
Take the toys away from the boys! Nehmt den Jungs ihr Spielzeug weg!

20 Millionen DM sollen jetzt für die Flüchtlinge, in deren Namen man den Krieg begonnen hat, durch die Bundesregierung aufgewandt werden. Die Debatte hat schon begonnen. "Das Haus ist voll", wir können keine Flüchtlinge mehr aufnehmen und so weiter. Gerade erst gehabt.
Es ist kaum zuertragen, mit welch maskenhaften Gesichtern PolitikerInnen über die Menschenrechtsverletzungen im Kosovo reden und damit begründen, daß man Bomben schmeißen muß. Hier besonderen Scham über die Grünen! aber auch über Scharping und Schröder,

Wir haben gestern einen Blumenstrauß zu dem Haus, in dem Petra Kelly ermordet wurde, gebracht. Damit wollen wir zum Ausdruck bringen, wie sehr sie uns fehlt. Stellt euch Petra Kelly vor, wie sie mit einem Außenminister Joschka Fischer, der Bomben befürwortet, geredet hätte.

Die einhellige Stimmung kommt bekannt vor:
"Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche" klingt einem bei Joschka Fischers: "Es gibt keine grüne Außenpolitik, sondern nur eine deutsche!" im Ohr. Diese Haltung wird die Grünen Stimmen kosten und hoffentlich die grüne Basis mobilisieren. Dank an Christian Ströbele und die anderen 6 aus der Bundestagsfraktion, daß ihr widersteht! Danke an Gregor Gysi für die Rede im Bundestag! Es waren auch nur wenige wie Rosa Luxemburg damals, die gegen die Kriegskredite gestimmt haben.

Die Grünen sind auf unserem Rücken, dem Rücken der Friedens-, der Frauen- und der Umweltbewegung in die Parlamente gekommen und nicht im Interesse der Herrschaftserhaltung der multinationalen Konzerne, die sich ihre weltweite Lizenz zum Plündern mit der weltweiten Lizenz zum Töten absichern wollen. Das was über das Multinationale Abkommen über Investition auf dem ökonomischen Sektor geplant wird, (und glaubt nicht, daß das MAI endgültig gestoppt worden ist!) den freien Zugang zu allen Ressourcen der Welt durch die Multis, wird begleitet durch die neue Natostrategie der Lizenz zum Töten. Aber jetzt auf der guten Seite, alles demokratisch. Ob dabei die UNO Struktur zerschlagen wird, wen kümmert es. In den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr heißt es ja auch nicht zufällig unter Punkt 8: Das Ziel ist die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung."
Ob mit diesem Angriffskrieg das Grundgesetz verletzt wird, wen interessiert das noch?

Deutschland ist durch die "Wiedervereinigung" endlich ein "normaler" Staat, sagen sie uns. Und das Normalität sich dadurch auszeichnet, daß man Krieg führen können muß! Das ist Normalität? Und ist damit der unausgesprochene, aber eingehaltene Konsens der Nachkriegsgeschichte Deutschlands "Nie wieder Krieg! hinfällig geworden? Haben wir in diesem Land, von dem in diesem Jahrhundert zwei Weltkriege ausgegangen sind, nicht genug an Leid und Mord über Europa und die Welt gebracht?

Unsere Großväter haben es versucht und nicht geschafft, die Dominanz zu haben,
Unsere Väter haben es versucht und nicht geschafft, Europa zu beherrschen.
Jetzt schaffen wir es!
In dem wir Teil des reichen ökonomischen Bündnisses EU und des reichsten Militärbündnisses der Geschichte sind, mit der Überlegenheit und Arroganz derjenigen, die sich über Ausbeutung und Kolonisierung von Natur, anderen Ländern und Frauen des größten Teils der Erde in die Lage gebracht haben, dieses Waffenarsenal anzuschaffen. Ist damit das deutsche Trauma der 2 Weltkriege vorbei, indem wir endlich auf der "guten" Seite stehen, mit den "guten" Bomben um uns schmeißen?

Dieses Jahrhundert hat eine Besonderheit: In diesem Jahrhundert sind mehr Menschen in Kriegen ermordet worden, als in den 1.900 Jahren unserer Zeitrechnung. Haben wir nicht endlich aus der Geschichte gelernt, daß der Frieden vorbereitet werden muß? Geplant und finanziert werden muß?

Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und Krieg sind in ungeheurem Ausmaß zur Zeit weltweit. In "befreundeten Ländern", in Europa in der Türkei, Natoland, in Zypern, in Nordirland, in Palästina, im Irak, in Aethiopien und Eritrea, im Kongo, in Osttimor, in Tibet, in Afghanistan, in Taschkent, auf den Philippinen, Kolumbien und so fort. Gewalt und Krieg nehmen inzwischen, auch vor dem Beginn des Krieges auf dem Balkan, die Hälfte der Nachrichten ein.

Wer entscheidet darüber, welche Gewaltverhältnisse und Menschenrechtsverletzungen wo angegriffen werden? Wessen Interessen bestimmen das?

Es gibt grauenvolle Diktatoren und Diktaturen. Milosevic ist einer von ihnen. Bomben wir die jetzt alle zusammen, wobei die Bomben selten die Diktatoren treffen, sondern die Menschen, die häufig in Opposition zu diesen Diktatoren stehen.
Aus einem Brief der Frauen in Schwarz aus Belgrad von gestern: "Am Himmel die Nato, auf dem Boden Milosevic! Was für ein Zynismus, was für eine Falle.
Welche Lösungen finden wir endlich? Müssen wir nicht den Frieden so systematisch vorbereiten, wie jetzt die Kriege? Sind die Lösungen Militärmaschinerien oder solche, bei denen wir die Ressourcen der Welt, die Intelligenz, das Wissen nutzen, um Frieden zu entwickeln?

Wir haben im Februar eine Woche lang systematisch alles gesammelt, was in fünf bundesdeutschen Zeitungen zu Krieg und Gewalt stand. Es sind zwei dicke Aktenordner voll geworden. Kriege werden systematisch vorbereitet. Gewöhnung an Gewalt in allen Bereichen des Alltags und des Krieges ist Teil dieser Strategie. In Kinderfilmen, morgens um sieben in den Privatsendern gab es einen Film: Atomic bee. Eine Biene, die bei Konflikten sich die Atombombe umschnallt und losfliegt und droht. Die Angriffskriege des Hitlerfaschismus sind auf Videos zusammengefaßt und werden Tag und Nacht zum Kauf in der Werbung angeboten. Die Vorbereitung zur Ramboisierung unserer Kinder, insbesondere der Jungen, läuft.

Der Krieg ist ein Medienspiel, ein Computerspiel, so wird es ihnen beigebracht.

Im ersten Weltkrieg waren
10% aller Getöteten Frauen und Kinder - 90% Soldaten

Im 2. Weltkrieg waren
50% aller Ermordeten Frauen und Kinder - 50% Soldaten

Im Vietnamkrieg waren
90 % aller Ermordeten Frauen und Kinder - 10 % Soldaten

In diesem Krieg werden Frauen, Männer und Kinder und die Soldaten der armen Länder getötet. Die Soldaten der reichen Länder kehren jede Nacht "wohlbehalten" auf ihren Stützpunkt zurück. Nachdem sie Frauen, Kinder und Männer gemordet haben, ohne "Feind"berührung, töten sie "sauber" über ihre Bordcomputer.
Wir fordern:
Sofortige Einstellungen der Bombardierungen.
Die Nato will ihr Gesicht nicht verlieren, sagen sie.
Durch die Nato verlieren Menschen ihr Leben!

Wir fordern:
Zurück an den Verhandlungstisch unter jeder Bedingung!
Wie können wir, die Friedensbewegung vorgehen?
Was können wir machen?

Frieden muß langfristig geplant werden.
Stellen wir uns vor, wir hätten die serbische Opposition, die im vorletzten Jahr wochenlang zu Zehntausenden auf die Straße gegangen ist, wirklich mit allen Mitteln, vor allem auch finanziell zum Aufbau einer starken zivilen Infrastruktur, Medien usw. unterstützt und damit geholfen, Milosevic abzuwählen!
Stellen wir uns vor, wir gäben die NATO Milliarden, die der Krieg kostet, zur Befriedung des Balkans aus!
Stellen wir uns vor, die UNO hätte für all ihre friedenserhaltenden Maßnahmen, für all ihre Hilfsprogramme das Jahresbudget der NATO!
Stellen wir uns vor, die UNO wird so gestärkt, daß sie wirklich das Instrument der Völkergemeinschaft wird, Kriege zu verhindern! Dazu müßte ihre Struktur verändert werden!
Stellen wir uns vor, DiplomatInnen und PolitikerInnen würden in diesem Sinne ausgebildet!
Stellen wir uns vor, anstelle von 450.000 Soldaten würden in Deutschland 450.000 FriedensarbeiterInnen ausgebildet!
Stellen wir uns vor, die Kasernen werden zu Friedensuniversitäten!
Stellen wir uns vor, Frieden wird ein Fach an Schulen und Universitäten!
Stellen wir uns vor, Frauen, die den größten Teil der Friedensarbeit in der Welt machen, werden Lehrerinnen an Schulen und Universitäten für Gewalt- und Konfliktprävention!
Stellen wir uns vor, beim Aufscheinen eines Konfliktes würden sofort 10.000 und mehr FriedensarbeiterInnen bereit stehen, zusammen mit den örtlichen NGO's, die sich am besten auskennen, um Konfliktprävention zu betreiben!
Stellen wir uns vor, Tausende von IngenieurInnen würden ausgebildet, Konversion von Rüstungs- in zivile Produktion, ausgerichtet an Bedürfnissen der Menschen und Umwelt zu entwickeln!
Stellen wir uns vor, die Kritischen AktionärInnen bei Daimler Benz und anderen Rüstungs- und Atomkonzernen werden stärker!
Stellen wir uns vor, die Welt wird nicht im Interesse einiger globaler multinationaler Konzerne regiert, das Profitinteresse, die entsetzliche Mangelsituationen, aus denen Kriege entstehen, wären bald aufgehoben.

Aufregende Abenteuer warten! Für das Leben, gegen den Krieg.

Liebe und Frieden
Ellen Diederich
Rede für Ostermarsch 1999 Teile gesendet im WDR 5
Oldenburg und Kassel.........Hessen 3 Fernsehen, BBC London, WINGS, USA

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