frauen und frieden |
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Brief aus Palästina von Dr. Sumaya Farhat-Naser, 14. April 2005 | |
Liebe Freunde, Seit Wochen nehme ich mir vor zu schreiben, doch wünschte ich mir ständig, es passiere etwas, worüber ich mit Freude berichten könnte. Ich bin es leid, über Trauer und Elend zu berichten. Die hohen Erwartungen, jetzt gehe der Friedensprozess weiter, zerschlagen sich, weil die Vereinbarungen vom Sharm el Sheik Gipfel nicht umgesetzt werden. Die Politik der Besatzung und Landnahme gehen weiter und die Freilassung der Gefangenen blieb aus. Der Rückzug aus den besetzten palästinensischen Städten geht sehr langsam, ohne Einhaltung des Zeitplans, voran, und die Militär-Sperren bleiben einige hundert Meter von der alten Stelle stehen. Die Situation von Ende Oktober 2000 soll wieder hergestellt werden, nämlich Befreiung der neun palästinensischen Städte, die damals erneut besetzt wurden. Bis jetzt sind nur zwei Städte, Jericho und Tulkarem, nur teilweise zurückgegeben worden. Die Situation in 2000
war so unerträglich geworden, und die Militärgesetze machten das Leben
der Palästinenser zu Qual, was folglich zum Ausbruch des Aufstandes führte.
Der Widerstand und die Aufstände werden sich wiederholen, solange keine
Befriedung eintritt. Was den Frieden bringt, ist das Ende der Besatzung
und die Befreiung aller Städte und Dörfer sowie der Ländereien der Besetzten
Gebiete. Das Schweigen der Waffen und das Einstellen der Angriffe beider
Seiten sind lebensnotwendig für alle. Solange aber Demütigung, Unrecht,
Entrechtung und Unterdrückung die Alltagspolitik bestimmen, wird eine
Gewalt mit anderen Gewalten konfrontiert. Es geht um das Überleben, und
die Spirale der Gewalt erneuert sich. Das normale Leben muss beginnen
und der gesellschaftliche Aufbau muss angegangen werden können. Wer Frieden
will, muss Frieden ermöglichen. Das interne Palästinensische Haus muss
dringend gereinigt und geräumt werden. Ein demokratisches und starkes
politisches System mit Herrschaft des Gesetzes muss sich durchsetzen,
damit Sicherheit und Zukunftsperspektiven geschaffen werden können. Nach
so vielen Jahre der Unterdrückung, Behinderung der Entwicklung und Versagen
der Politik werden Zeichen der Verwahrlosung und Zerbrechen unserer Gesellschaft
bemerkbar. Zu viele Menschen sind geknickt oder total umgekippt. Viele
Jugendliche fühlen sich verloren ohne Halt und ohne Orientierung. Sie
sehen das Unrecht, spüren die Ungerechtigkeit und erkennen, wie Stück
für Stück das Land weg genommen wird, die Perspektive für die Zukunft
versperrt werden, und sie verfallen in Ohnmacht und Gefühle der Wut und
Verzweifelung. Es schmerzt, wenn so viele Menschen in der Welt sich für
uns freuen und wir diese Freude nicht voll teilen können. Sie denken,
es sei schon Frieden bei uns, denn Israel habe mehr Ruhe. Fragt jemand,
ob die Palästinenser auch Ruhe haben? Die Gewalt der Besatzung entscheidet
über unser Leben, bestimmt unsere Zukunft und diktiert das Geschehen.
Wir fühlen uns total ausgeliefert, die israelischen Zukunftsplaner annektieren
mit Gewalt mehr als die Hälfte der Besetzten Gebiete, und mit dem Mauerbau
wird das Annektierte von Israel einverleibt. Was für die Palästinenser
übrig bleibt, ist: zerstückelte Enklaven, von einander durch Wachtürme
und Checkpoints getrennt, sie sind ummauert und umzäunt. Die Mobilität,
entscheidend für Entwicklung und Fortschritt, wird in Palästina erwürgt,
sodass die Bewegung von einem Ort zum anderen zur Plage geworden ist.
Nicht nur unser Land wird uns genommen, sondern auch unsere Zeit wird
verausgabt, wenn Bewegungsverbote die halbe Stunde Fahrt zu vier Stunden
machen. Nerven und Seelen erkranken oder stumpfen ab. Einseitig, ohne
Friedensverhandlungen oder Vereinbarungen, werden Fakten geschaffen, die
den Lebensraum eingrenzen und Zukunftsperspektiven für das andere Volk
limitieren. Die Eskalation von Gewalt bleibt stets bedrohlich. Dennoch
halte ich fest: Der Friede kann niemals diktiert werden. Er muss aus der
Einsicht wachsen, dass ein gerechter Friede für alle ein Gewinn sein muss
und dass dies unsere einzige Option zur gemeinsamen Sicherheit und zum
gemeinsamen Überleben ist. Wahrung der Menschenrechte und Menschenwürde
verwandeln Angst und Feindseligkeit in Vertrauen, Versöhnung und Sicherheit.
Daran glauben bedeutet, dafür sich einsetzen.
Das Arbeiten mit den Mädchen ist auch eine große Verantwortung, die mir aus Sorge um sie den Schlaf beraubt: Ein fleißiges und kluges Mädchen wünschte ein Privatgespräch. Sie erzählte von der Armut in der Familie. Acht Geschwister und die Eltern leben in zwei Zimmern. Sie muss lernen für das Abitur und hat Angst, keine ruhige Stunden zu finden. Zwar versuchen alle im Haus, in einem Zimmer zu sitzen, damit sie lernen kann, aber sie sind dann wie gefangen, und nach einer Stunde kommen sie doch hinein. Sie sind so arm, dass sie zwei bis drei Mal wöchentlich alle ohne Essen ins Bett gehen, und oft besteht das Essen aus Brot getränkt mit Öl.. Viele Male hat sie keinen Shekel ( 20 Cent), um Busgeld zu zahlen, sie bleibt dann Zuhause und versäumt den Unterricht. Die Familie hat große Erwartung an sie, denn sie ist die älteste Tochter, und sie hoffen, sie lernt einen Beruf und rettet die Familie aus der Armut. Seit mehreren Jahren
konnten und durften Schulen keinen Ausflug machen. In diesem Frühling
erlaubte die Schulbehörde die Ausflüge, nachdem israelisches Militär nur
Jeriche als Ausflugsort bestimmt hat. Auch die Schule in Beit Igza plante,
und alle waren so begeistert und erfreut. Es waren 19 Schülerinnen der
12. Klasse und 24 Schülerinnen der 11. Klasse und 30 der 10. Klasse, die
keine 7 € hatten, um den Ausflugsbus zu zahlen. Die Schülerinnen sammelten,
je 20 Cent, die Lehrerinnen spendeten etwas mehr, und ich konnte mit Freunde
noch mehr dazu geben. Alle Schülerinnen der Schule haben den Ausflug mitgemacht.
Es war eine wunderbare Sache und eine große Freude. Die Natur und das
Arbeiten mit den Menschen geben Inspiration und Motivation. In diesen
wenigen Frühjahrswochen lädt uns die Natur ein, in ihren Schoß uns zu
begeben, sie bewusst zu genießen, sie als Quelle der Liebe, Freude und
Kraft auf zu suchen. Munir, Anis Ghada und ich starten unsere Wanderung
an jedem Freitag, hinunter ins Tal, und hoch den Berg und wieder hinab
und hinauf. Annemonen, Ginster, Zyklamen, wilde Tulpen, Lilien und Orchideen
sowie wilde Rosen und kletternde Sträucher schmücken die grüne Decke der
Landschaft. Wir laufen, rutschen und manchmal glitschen aus auf steinigen
steilen Böden. Doch wir lachen viel, während wir erzählen. Wir klettern,
pflücken und bewundern. Wir sammeln wilden Spargel, der im Gebüsch der
dornigen Beeren und Kletterpflanzen sich versteckt. Uns kratzen die Dornen
und stechen die Dornen. Manchmal machen wir einige Schritte vom Gebüsch
zurück, neigen unsere Köpfe zur Seite schauend auf die Oberfläche des
Gebüsches, und welch eine Freude erfüllt uns: die Köpfe der Spargelstangen
ragen empor, als warteten sie auf uns. Wir jauchzen und pflücken. Wir
lernen, sobald das Suchen im Gewühl des Gebüsches mühsam wird, treten
wir etwas aus dem Gebüsch heraus, dann erleichtert sich die Suche. Das
ist auch so im Leben. Wir suchen voller Erwartung Thymian, wilden Pfefferminz,
Salbei und Wildgemüse, die wir voller Freude Zuhause dann genießsen als
Salat, Gekochtes oder in Teigtaschen gebacken. Wie schön ist auch das
Ausruhen nach der Müdigkeit der Wanderung. Wir lieben die Natur, wir lieben
unsere Kultur. Wir wandern von einem wunderschönen Steinwachtturm früherer
Zeiten zum anderen. Munir, mein Mann, registriert und dokumentiert sie,
er hat mehr als 120 Qasr registriert und dabei viele schöne Geschichten
darüber gesammelt. Sie sind um 300 Jahre alt, gebaut von unseren Urgrossvätern.
Sie bestehen aus gestapelten Steinen, wo ein Stein Stein den anderen stützt
und ein schönes Baukunstwerk ermöglicht. Diese Qusur (Einzahl: Qasr) dienten
der Wache in Wein- und Feigen-Feldern. Sie bestehen aus einem Raum bis
zu vier Meter hoch mit dicken Wänden und einer Türöffnung, die nachts
mit einem Felsen versperrt wurde. Sie sind ein- oder zweistöckig mit Gewölbe.
Vielen droht der Zerfall, weil sie vernachlässigt sind. In unserer Landschaft
verbirgt sich der Schatz unserer Kultur, dort sind unsere Wurzel. Mit diesen Worten möchte ich allen danken, die unsere Arbeit unterstützen. Sumaya Farhat-Naser
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