frauen und frieden

Nach den Wahlen in Palästina: Januar 2006

Bei den ersten landesweiten Wahlen seit zehn Jahren hat Hamas aus dem Stand die absolute Mehrheit im Parlament der palästinensischen Autonomiebehörde (AutonomieRat)  gewonnen. Hamas wird von den einen als islamistische TerrorOrganisation verurteilt, von den anderen als soziale Hilfsorganisation angesehen, die das Bedürfnis der Menschen nach religiöser und nationaler Identität anspricht. Was erwarten Frauen in Palästina von Hamas?  

Demokratisch wählen ja – aber bitte die Richtigen!

Das Ergebnis der Wahlen vom 24. Januar zeigt eine starke Polarisierung der palästinensischen Gesellschaft. Hamas hat 74 und die bisher regierende Fatah 48 von insgesamt 132 Parlamentssitzen gewonnen. Da bleiben für die kleineren Parteien, die sich selbst als Kräfte der Mitte und des Ausgleichs profilieren wollten, nur zusammen zehn Mandate übrig. Die Wahlbeteiligung der Frauen war kaum geringer als die der Männer. Im Augenblick gibt es noch keine Angaben darüber, wie viele Frauen gewählt wurden. Einen der zehn Sitze der Mitte wird Hanan Ashrawi einnehmen; sie wurde als Sprecherin der palästinensischen Delegation bei den Osloer Verhandlungen international bekannt. Nicht geschafft hat es die seit Jahren für Frauenrechte und soziale Gerechtigkeit engagierte Amal Khreishe, die auch in Deutschland Freundinnen hat. Sie kandidierte für die Partei Independent Palestine des palästinensischen Arztes Mustafa Barghouti. Von den zwei Sitzen, die die Partei gewann, ging einer naturgemäß an den Parteiführer. Den zweiten erhielt Frau Rawiya Ashawi aus Gaza .

Die Niederlage der bisher herrschenden Fatah und die absolute Mehrheit von Hamas haben vielen erst einmal die Sprache verschlagen. Und so hören wir momentan zwar einen Chor aufgeregter, ja aufgebrachter Kommentare aus aller Welt, aber bisher wenig Stimmen aus Palästina selbst.

„… dass die Hamas die absolute Mehrheit bekommen hat und die Regierung bilden wird, ist ein Schock für uns“, schreibt die in Köln aufgewachsene palästinensische Christin Faten Mukarker an ihre Freunde in Deutschland. „Was wird es für uns Christen bedeuten, wenn wir uns als kleine und schwindende Minderheit in einem Gottesstaat wieder finden? Wie werden die Frauen in einem solchen Staat behandelt werden?“

Jihad Abuzneid vom Jerusalemer Frauenzentrum hätte eigentlich Grund zum Feiern: sie zieht als neu gewählte Abgeordnete der Fatah  ins Parlament ein. Regieren aber wird die Hamas.  Dass es noch mehr Kopftuch-Trägerinnen unter den Palästinenserinnen geben wird als bisher schon, nimmt Jihad als gegeben hin. "Schlimmer ist, dass die Hamas die ganze Mentalität verändern wird", sagt sie.

Die 22-jährige Narim Dolah hat Hamas gewählt. Das grau-blau gemusterte Kopftuch trägt sie passend zum Kleid. "Die Hamas wird nur die Waffen niederlegen, wenn Israel vernünftige Angebote macht."

A propos Kopftuch: schon immer gehörten die weißen Tücher vieler Frauen zum Straßenbild in Palästina. So viele Kopftuchträgerinnen wie diesmal allerdings habe sie nie zuvor gesehen, berichtete Suraya Hoffmann, die kurz vor den Wahlen ihre alte Heimat besuchte. Sie engagiert sich in Köln für den deutsch-palästinensischen Frauenverein.

Bezeichnenderweise sind es gerade viele junge Frauen, die neuerdings Kopftuch tragen. Für viele von ihnen ist es weniger ein religiöses Symbol als vielmehr ein Zeichen der Identität: sie tragen ihr Kopftuch für die Sache Palästinas. Vielleicht haben sie aus den gleichen Gründen Hams gewählt. Für Natasha Khalidi, die ebenfalls im Jerusalem Center for Women arbeitet, ist der Hamas-Sieg eine komplexe Angelegenheit: "Die Hamas hat mit ihrer Basisarbeit, ihrer guten Organisationsstruktur auch viele Frauen in ihrer Verzweiflung angesprochen. Gleichberechtigung ist ein Luxus, wenn man tagtäglich gegen Armut kämpft. Und die Leiden unter der israelischen Besatzung haben sich nicht verringert."  Die jahrzehntelange Besatzung zu beenden, das trauten gerade junge Palästinenserinnen und Palästinenser, unter denen die Arbeitslosigkeit mit 40 % erschreckend hoch ist,  der seit zehn Jahren regierenden Fatah offenbar nicht mehr zu. Für sie ist Hamas keine religiöse Bewegung, sondern eine nationale Widerstandsorganisation.

Das sagt auch die deutsche Politologin Helga Baumgarten, die sei vielen Jahren an der hochangesehenen palästinensischen  Birzeit-Universität lehrt: „Wir müssen mit Hamas leben. Und Hamas wird sich bewegen.“ Die Existenz Israels habe die Gruppe „in der Tendenz“ bereits akzeptiert, sagt Frau Baumgarten und rät: „Die Europäer und Amerikaner sollten Hamas nicht drohen. Sie sollten die Islamisten politisch einbinden.“

Ganz anders äußerte sich eine andere Deutsche, die dieser Tage Israel und Palästina besuchte. Hamas, sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel,  sei in der Europäischen Union als terroristische Vereinigung gelistet. Unter ihrer Regierung sei es „unvorstellbar“, dass die EU oder Deutschland eine von der Hamas bestimmte Autonomiebehörde „direkt unterstützen“ würden. Hamas müsse das Existenzrecht Israels öffentlich anerkennen, dürfe keine Gewalt mehr ausüben und müsse die bisherigen Vereinbarungen im Friedensprozess mit Israel anerkennen.

Benita Ferrero-Walter, die EU-Außenkommissarin, ließ verlauten, die EU werde vorerst keine Kontakte zur Hamas unterhalten. Angela Merkel ging noch einen Schritt weiter und sagte: „Unser Dialogpartner ist nicht Hamas, sondern Mahmood Abbas, der gewählte Präsident der Palästinenser.“

Wir reiben uns Augen und Ohren: die in einer vorbildlich demokratischen Wahl siegreiche Partei ist für unsere Bundeskanzlerin kein Dialogpartner;  auf das von Hamas vorgeschlagene Treffen hat sie nicht reagiert. Stattdessen hat sie mit Mahmood Abbas geredet, dem Chef der gerade abgewählten Fatah- Partei.

Ja, es ist wahr: die Palästinenser haben unter den schwierigen Bedingungen der Besatzung, unter denen sie leben, in demokratischer Weise gewählt. Das Ergebnis der Wahl jedoch können gerade viele Frauen nur mit Bauchschmerzen akzeptieren. "Das ist auch Demokratie", sagt Jihad Abuzneid, die Frauenrechtlerin aus Jerusalem. .

Die Menschen in Palästina haben Besseres verdient als die Verweigerungshaltung und die finanziellen Drohgebärden von USA und EU. Warum nicht mit Hamas sprechen? Warum den Neuen nicht Gelegenheit geben, sich politisch zu entwickeln?

Ulrike Vestring/WLOE

31. Januar 2006

Einige der zitierten Frauenstimmen stammen aus dem Artikel Es wird noch mehr Kopftuchträgerinnen geben  von Charlotte Misselwitz, erschienen am 28. 1.06 in der Berliner Zeitung.

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