Im
Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) verhandeln die Regierungen
der Industrie- und Entwicklungsländer die Liberalisierung des Dienstleistungssektors
und den Umgang mit Patentrechten.
Der Zugang zu Gesundheit
ist ein Menschenrecht. Die weitgehende Liberalisierung und Privatisierung
aber gefährdet gerade die öffentlichen Gesundheitssysteme,
die dieses Menschenrecht schützen, weil sie auf dem Solidaritäts-Prinzip
beruhen und nicht nach Gewinn-Interessen ausgerichtet sind.
Allein 1999 starben weltweit 40 Millionen Menschen an Krankheiten, die
längst geheilt werden können - die meisten davon in den Ländern
Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Sie starben, weil solidarische Gesundheitssysteme
fehlen und die profitorientierte private Gesundheitsindustrie an ihrer
Versorgung kaum verdienen kann.
Auch in den Industriestaaten fordern Pharmaindustrie, Politik und Medien
die Privatisierung der Gesundheitssysteme.
Damit werden auch die Menschen vom Zugang zu Gesundheit ausgeschlossen,
die jetzt noch entsprechend abgesichert sind.
Die Rolle der
WTO
Zwei der wichtigsten Abkommen der Welthandelsorganisation machen aus
dem Recht auf Gesundheit ein Geschäft auf Kosten der Gesundheit:
das Dienstleistungsabkommen GATS und das Patentschutzabkommen TRIPS.
Das GATS
Dienstleistungen sind heute noch vielfach vor der "Freiheit des
Welthandels" geschützt, nicht wenige sind in öffentlicher
Hand oder öffentlich finanziert.
Das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement
on Trade in Services) soll privaten Anbietern weltweit Dienstleistungsmärkte
öffnen. Kein Sektor ist grundsätzlich ausgeschlossen; der
enorm breite Regelungsbereich des GATS umfasst u.a. Post- und Telekommunikation,
Bauwesen, Handel, Bildung, Ver- und Entsorgung, Banken und Versicherungen,
medizinische und soziale Dienste, Tourismus, Transport und Kultur. Während
der Dienstleistungshandel heute nur rund 1/4 des Welthandels ausmacht,
erhoffen sich die GATS-Befürworter einen enormen Zuwachs und dementsprechende
Milliardenprofite. Sie versprechen einen gewaltigen Nutzen für
das Gemeinwohl - doch dieses Versprechen ist mehr als fadenscheinig.
Die Privatisierung
der Gesundheitsdienste im Rahmen des GATS-Abkommens
Die WTO-Mitglieder legen innerhalb des GATS fest, welche Dienstleistungsbereiche
sie dem Markt öffnen wollen. Wird
ein Bereich "liberalisiert", ist dieser Schritt kaum umkehrbar.
Im Rahmen der künftigen Verhandlungen soll die Liberalisierung
so weit vorangetrieben werden, dass im Geltungsbereich des GATS öffentliche
Regulierungen nur noch in Ausnahmefällen greifen können.
Regierungen, die solche Eingriffe planen, müssen sich im Streitfall
vor dem WTO-Schiedsgericht verantworten, das zuerst der "Freiheit
des Handels" verpflichtet ist. Der verschärfte Wettbewerb
durch private Anbieter gefährdet aber schon jetzt die Finanzierbarkeit
und Qualität öffentlicher Gesundheitssysteme. Während
private Krankenversicherungen um junge, gesunde und zahlungskräftige
Mitglieder buhlen, verbleiben Menschen mit niedrigerem Einkommen und
höheren Gesundheitsrisiken im öffentlichen System. Dadurch
gerät die in vielen Ländern beträchtliche Umverteilungswirkung
des öffentlichen Gesund-heitssystems - Reiche unterstützen
Arme, Gesunde unterstützen Kranke - in Gefahr: Solidarität
kann im Rahmen des GATS - z.B. als "Quersubventionierung"
- zu einem ungerechtfertigten Handelshemmnis werden.
Erfahrungen mit
der Privatisierung der Gesundheitsdienste
Während der grenzüberschreitende Handel mit Gesundheitsdienstleistungen
noch am Anfang steht, gibt es schon zahlreiche, äußerst bedenkliche
Erfahrungen mit der Privatisierung öffentlicher Gesundheitssysteme
in Nord und Süd.
Beispiel USA: Konsequenter als jedes andere Land verwandelten
die USA die Gesundheitsversorgung in ein Geschäft. Während
das Gesundheitswesen mit jährlichen Ausgaben von rund einer Billion
US$ der größte Wirtschaftsektor der USA ist, sind ein Sechstel
aller AmerikanerInnen (44 Millionen Menschen) nicht krankenversichert,
Millionen andere gelten als unter-versichert. Eine ernsthafte Erkrankung
kann leicht zur ökonomischen Existenzfrage werden. Oft suchen die
Betroffenen erst dann einen Arzt auf, wenn ein akuter Notfall vorliegt
- denn in diesen Fällen zahlt der Staat.
Beispiel Brasilien - ein weiteres Modellland der Privatisierung
des Gesundheitssystems. Hier stehen Verfügung - und gerade einmal
70.000 für die restlichen drei Viertel.
Beispiel Großbritannien: Massive Kosteneinsparungen privatisierter
Kliniken wurden auf dem Rücken der PatientInnen wie des Personals
ausgetragen und führten zu deutlich verschlechterter Pflege, mangelnder
Hygiene und einer unzureichenden Nahrungsmittel-Versorgung.
Beispiel Bundesrepublik: Der Anstieg der Beiträge zur gesetzlichen
Krankenversicherung ist nicht auf die angebliche Kostenexplosion des
Gesundheitswesens zurückzuführen: verantwortlich sind vielmehr
sinkende Reallöhne, andauernde Massenerwerbslosigkeit und der Wechsel
von Besserverdienenden zu privaten Krankenversicherungen.
Die aktuell diskutierten Reformvorschläge nach stärkerer Trennung
in Pflicht- und privat zu versichernde Wahlleistungen zielen im Kern
auf Entsolidarisierung und Senkung der Arbeitgeber-beiträge zur
Krankenversicherung. Damit wird das staatliche Gesundheitssystem weiter
geschwächt, seine Umverteilungsfunktion ausgehöhlt und die
Tendenz zur Zweiklassenmedizin gefördert.
Im Paket mit
den nationalstaatlichen Liberalisierungsanstrengungen ist das GATS höchst
gesundheits-schädlich, weil es marktgesteuerte Gesundheits-systeme
fördert, die Profit vor Gesundheit stellen.
Obwohl die Privatisierung der Gesundheitsdienste alle betrifft, trifft
sie nicht alle in gleichem Maß:
während Gesundheit im Norden für viele teurer und für
eine wachsende Zahl von Menschen unerschwing-lich wird, bleiben im Süden
die meisten auch weiter-hin schutzlos den Massenkrankheiten der Armut
ausgeliefert. Damit vertieft sich die Spaltungen zwischen dem Norden
und dem Süden noch weiter.
Das TRIPS
Das parallel zum GATS verhandelte TRIPS-Abkommen (Trade Related Intellectual
Property Rights - Abkommen zu handelsbezogenen geistigen Eigentumsrechten)
regelt in der WTO den "Schutz geistigen Eigentums" und damit
u.a. Patente auf Medikamente und auf (Heil-)Pflanzen. Diese zeitlich
begrenzte Monopolgarantie soll einen Anreiz für die Konzerne schaffen,
auch weiterhin in Forschung und Entwicklung zu investieren.
Beispiel AIDS
in Afrika
Das Drama um AIDS in Afrika hat viele Menschen aufhorchen lassen. Während
in Afrika Millionen Menschen HIV-infiziert sind und immer wieder schockierende
Todeszahlen veröffentlicht werden, hat die Krankheit in Europa
viel von ihrem Schrecken eingebüßt: Hier kann man sich Medikamente
leisten, die den Ausbruch verzögern und die Symptome lindern. Hier
lebt man noch unter sozialen Bedingungen, die die epidemischeVerbreitung
der Krankheit verhindern.
In Afrika würde die Bereitstellung vor Ort nachgebauter und deshalb
erheblich billigerer AIDS-Präparate eine Soforthilfe bedeuten.
Als die südafrikanische Regierung deshalb ein Gesetz erliess, dass
die Beschaffung und den Einsatz solcher Nachahmerprodukte erlaubt, klagten
39 Pharmakonzerne - darunter 7 deutsche - gegen dieses Gesetz und blockierten
so seine Anwendung. Internationale Proteste zahlloser Nicht-Regierungs-Organisationen
führten im April 2001 dazu, dass die Klage zurückgezogen und
eine Preissenkung als freiwillige Selbstverpflichtung angekündigt
wurde. In den drei Jahren seit Einreichen der Klage sind allein in Südafrika
um die 400.000 Menschen an AIDS gestorben.
Der Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten lässt sich allein
über ein solidarisches Gesundheitswesen sicherstellen - und nicht
über die "Freiheit des Handels". Dem Patientenschutz
ist deshalb der unbedingte Vorrang vor dem Patentschutz einzuräumen.
Biopiraterie
Die Pharmaindustrie versperrt im Namen ihres "Rechts auf geistiges
Eigentum" auch den freien Zugang zu Heilpflan-zen. Damit werden
Naturheilmittel, mit denen sich gerade die Menschen in den Ländern
des Südens seit Generationen zu schützen suchen, zum Privateigentum
von Konzernen, die den Anbau und Einsatz von heilkräftigen Pflanzen
mit Lizenzgebühren belegen und traditionelle Anbauer mit drakonischen
Strafen verfolgen. Unberücksichtigt bleibt dabei, ob bei der Analyse
von Genen solcher z.T. schon Jahrhunderte gebräuchlicher Heilpflanzen
überhaupt von einer patentierbaren Erfindung gesprochen werden
kann. Unberücksichtigt bleibt auch, dass viele Konzerne im Patent-Geschäft
gleich doppelt kassieren: durch den Profit im Handel und durch die vorausgehende
Bereicherung an den öffentlichen Mitteln, mit denen sie sich ihre
Forschung nach neuen Medikamenten staatlich fördern lassen. Unberücksichtigt
bleibt schliesslich die dringliche Frage, ob Leben überhaupt zu
privatem Eigentum werden soll. Die Vorteile, die transnationale Konzerne
durch Patentrechte haben, geben weder traditonellen Heilweisen noch
der Pharma-Industrie in den ärmeren Ländern eine Chance. Mit
Patenten auf wichtige Nahrungspflanzen gefährdet das TRIPS-Abkommen
darüber hinaus die Ernährungsgrundlagen vieler landwirtschaftlich
dominierter Gesellschaften.
Das TRIPS-Abkommen
ist gesundheitsschädlich.
Es versperrt den Armen den Zugang zu lebens-notwendigen Medikamenten
und erlaubt die Patentierung von Leben.
Unsere
Forderungen
Keine weitere Liberalisierung des Gesundheitsmarktes durch das GATS
mit den unfairen Spielregeln der WTO.
Solidarische Aufbringung der Kosten von allen in Gesundheitssystemen
für alle
Abschaffung statt Ausweitung der Zwei-Klassen-Medizin
Auch geistiges Eigentum verpflichtet: Umfassende und wirkungsvolle Sozialbindung
ist nötig, um elementare Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.
Öffentliches Interesse bricht private Aneignung!
Aufhebung und Verbot von Patenten auf Arznei-mitteln, wo sie zur Bekämpfung
der Massen-krankheiten der Armut notwendig sind ("essen-tial drugs").
Freier Vertrieb von Generika.
Aufhebung und Verbot jeglicher Patentierung von Leben.
Grundlegende Revision des GATS- und TRIPS-Abkommens nach Maßgabe
des im InternationalenPakt über wirtschaftliche, kulturelle und
soziale Menschenrechte niedergelegten "Rechts eines jeden auf das
für ihn erreichbare Höchstmaß auf Gesundheit".
Gesundheit ist ein Menschenrecht!
Diese Forderungen
sind alles andere als utopisch:
Mit ihrer Erfüllung werden die Mindestbedingungen geschaffen, unter
denen eine zureichende, den Massenkrankheiten der Armut angemessene
Gesundheitspolitik entwickelt werden kann!
Medico-Projekte
- Inseln der Vernunft
Es geht uns nicht nur um die öffentliche Auseinandersetzung um
die WTO. Es geht auch darum, unter den jetzt gegebenen Nöten Alternativen
zu erproben, Antworten zu finden für die Dringlichkeiten des Alltags.
Das bedeutet praktische Solidarität im besonderen Fall. medico
international versucht, Kampagnenpolitik und Projekthilfe zusammenzuführen.
Das schliesst unsere Partnerinnen und Partner im Süden ein: Menschen,
die Tag für Tag versuchen, ihr Recht auf Gesundheit in eigener
Regie zu verwirklichen, für sich und für andere.
Das Children Ressource Centre (CRC) im südafrikanischen
Kapstadt beginnt mit der Prävention. Für das Netz von Selbsthilfegruppen
von Kindern in den armen Townships besteht das Recht auf Gesundheit
im respektvollen Umgang miteinander und in gegenseitiger Hilfe in den
kleinen Dingen des laufenden Lebens - bei der täglichen Hygiene
angefangen.
Ein weiterer Schritt ist der Versuch, ein "Gesundheitssystem von
unten" auszubilden, in Guatemala beispielsweise, wo Landgemeinden
mit der Hilfe von Barfußzahnärzten versuchen, für
ihre eigene primary health care - Basisge-sundheitversorgung - zu sorgen.
Weil das aber auch die Sicherung von ausreichender Ernährung, sauberem
Wasser, menschenwürdigen Wohn- und Arbeitsverhältnissen und
Bildungschancen einschliesst, gilt es zugleich, eigene Systeme der sozialen
Sicherung auszubilden - wie in El Salvador, wo die Kriegsversehrtenselbst-hilfeorganisation
PODES (Du kannst!) eine Sozialkasse aufbaut, die auch solchen Mitgliedern
den Zugang zu Prothesen ermöglicht, die dafür keine eigenen
Mittel haben.
Um unseren Partnerinnen und Partnern helfen zu können, brauchen
wir Ihre Hilfe. In der Kampagne gegen GATS und TRIPS, und in der tagtäglichen
Arbeit der Projekte.
medico international e.V.
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Frankfurt/Main
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Träger des Friedensnobelpreises 1997
Dieses Faltblatt zu WTO und Gesundheit wurde gemeinsam initiiert von
attac Deutschland und medico international. Es ist eine erste Veröffentli-chung
und Anstiftung zur Diskussion. Wir freuen uns über Rückmeldungen
und Beteiligung an Aktionen und Veranstaltungen zum Thema.
Regelmäßig aktuelle Infos gibt es unter www.wto-kritik.de
· wto@attac-netzwerk.de
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