Was bedeutet „Hartz IV“ für die Frauen?
Veronika
Bennholdt-Thomsen
Sozialforum Bielefeld
Beitrag zur Kundgebung des anlässlich der Sitzung des Stadtrates
15. Juli 2004 vor dem alten Rathaus in Bielefeld
Wir müssen uns fragen, wie sich Hartz IV auf die Kinder auswirkt, auf deren Mütter und insgesamt auf Frauen und ihren Platz in dieser Gesellschaft. Nimmt die rot-grüne Regierung deren Situation überhaupt noch wahr? Oder sollen gerade Frauen, die arbeitslosen Mütter und deren Kinder wieder noch weiter an den Rand gedrückt werden?
Und: Was sagt der Rat dieser Stadt dazu?
Sehen wir uns einmal die Sozialhilfe an. 1/3 der Sozialhilfeempfänger sind alleinerziehende Mütter. Warum wohl? Deshalb weil sie Zeit brauchen, um ihre Kinder zu versorgen, statt sie mit dem Schlüssel um den Hals auf die Straße zu schicken. Was sagt der Rat dazu? Im Dezember hat der Rat der Stadt Bielefeld einen Beschluß verabschiedet, dass Sozialhilfeempfänger gemeinnützige Arbeit leisten sollen, gegen einen zusätzlichen Euro Aufwandsentschädigung pro Stunde. An die alleinerziehenden Mütter hat der Rat dabei offenbar nicht gedacht, zu ihnen wird in dem Beschluß nichts gesagt. Ist Kinder aufziehen etwa nicht gemeinnützig?
Die Frage ist sowieso, ob die Augen unserer Volksvertreter überhaupt noch auf die Menschen gerichtet sind oder nur noch auf die Zahlen?
Die neuen Sozialhilfeempfängerinnen und Empfänger unter ALG II sollen jetzt für 1 Euro die Stunde noch nicht einmal nur zu gemeinnütziger Arbeit, sondern zu jeglicher Arbeit gezwungen werden, oder die Hilfe wird ihnen noch weiter zusammengekürzt. Auch das letzte, was einer arbeitslosen Mutter noch geblieben ist, nämlich Zeit, wird ihr jetzt auch noch genommen. Aber in Wirklichkeit wird ihr – wie allen Frauen und Männern unter ALG II – noch viel, viel mehr genommen: Es wird ihnen jegliche eigene Lebensplanung aus der Hand geschlagen.
Nämlich die heute langzeitarbeitslose Frau hat sich vermutlich damals für ein Kind entschieden, statt eine lang dauernde Ausbildung zu machen, die ihr womöglich eher einen sicheren Arbeitsplatz eingetragen hätte. Oder sie hat sich entschieden, nicht hinter einem Arbeitplatz her aus Bielefeld wegzuziehen, sondern statt dessen lieber ein Familienleben zu behalten. Genau dafür soll sie jetzt bestraft werden und für nur 1 Euro bei Oetker die Pizza belegen.
Hartz IV macht aus der Republik endgültig ein Arbeitslager mit Leiharbeit und Billigjobs. Nicht die Kinder zählen, nicht die Familie, nicht die Partnerschaft, nicht dass ich da bleibe wo ich Freunde und Nachbarn habe, da wo ich vielleicht eine schöne Wohnung habe – nein, die wird mir jetzt auch noch streitig gemacht, weil sie den angemessenen Wohnstandard überschreitet. Was allein zählt, ist, dass ich meine Zeit damit verbringe für den berühmten Investor zu arbeiten, was auch immer und wo auch immer. Alle anderen Kriterien nach denen ich versuchte, ein anständiges Leben zu führen, sind falsch, zeugen angeblich von meiner Faulheit und Dummheit. Kurzum, ich bin es in den Augen der Gesetzgeber selber Schuld und dafür ereilt mich die gerechte Strafe: Mir wird weggenommen, was ich noch als Sicherheit angesehen hatte und weshalb ich gewagt hatte, meine eigenen Lebensentscheidungen zu fällen.
Oder ich werde von vornherein dafür bestraft, dass ich in einer Partnerschaft lebe, und bekomme überhaupt nichts mehr, weil das Einkommen des Partners herangezogen wird. Denn wenn der Partner 622 Euro und die Miete verdient, gibt’s keine Leistung mehr. Insgesamt werden in Dtld,. über ½ Million, schätzungsweise 600 000 Arbeitslose, durch ALG II überhaupt nichts mehr bekommen. In Bielefeld werden es ungefähr 2 500 Personen sein, vermutlich mehrheitlich Frauen.
Was heißt das für Frauen? Jetzt werden sie erst recht wieder als Anhängsel des Mannes betrachtet. Ihnen wird keine eigenständige Erwerbsexistenz zugestanden. Ist Hartz IV das Instrument Frauen zurückzustufen zu den 3 Ks, Kinder, Küche, Kirche? Richtiger Weise allerdings muß das dritte „K“ heutzutage Konzerne heißen.
Denn die moderne Religion in der Deutschland AG oder der Bielfeld AG, - die Politik ist ja zum Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft verkommen -, denn die moderne Religion ist ja nicht mehr die der Kirche, sondern der Glaube an die Konzerne. Und die Konzerne wollen nicht, dass die Frau in die Kirche geht, sondern sie wollen die Frau als Billiglohnarbeiterin, nicht nur in den Weltmarktfabriken in Taiwan oder Nicaragua, sondern genauso auch bei uns. In Deutschland sind allein im letzten Jahr 1 Mio Minijobs entstanden. Wenn das vor allem Frauen sind, dann deshalb, weil sie jahrzehntelang als billige Zuverdienerin zum männlichen Brotverdiener angesehen wurde.
Deshalb tut sich unter Hartz IV noch ein ganz anderes Panorama für die Frauen auf. Der Facharbeiter nämlich wird abgeschafft. Die Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit betrifft immer mehr männliche Lohnarbeiter, die, für die die Gewerkschaften jahrzehntelang ihre 35 Stunden-Woche-Politik gemacht haben, statt sich um die Frauenbelange zu kümmern. Für die Frauen war die schlecht gesicherte Teilzeitarbeit, waren Jahre lang die Leichtlohngruppen, war die geringfügige Beschäftigung gerade gut genug.
Nicht zuletzt davon haben wir jetzt ein Ergebnis, das immer öfter eintreten wird. Er ist langzeitarbeitslos, sie hat einen Job mit Minimalverdienst, der liegt aber über der Grenze des Partnereinkommens nach Hartz IV. Er bekommt nichts mehr und jetzt darf sie sehen, wie sie ihn mit durchzieht. Wahrhaftig kein Grund zu frohlocken, weil die Frau nun zur Brotverdienerin und zum Familienvorstand avanciert ist. Erst hat sie seinetwegen und der Kinder wegen auf einen Berufsweg verzichtet und jetzt muß sie dafür auch noch mit Familienarmut büßen. Diese Frauen, wie insgesamt schon länger die Billigjobs für Frauen sind der Einstieg in die deutsche Zukunft: working poor, lohnarbeitende Arme mit zwei, drei Jobs, wie in den USA.
Man muß sich fragen, was die gesellschaftspolitische Absicht von Hartz IV ist. Oder ist es schlichte einfältige Ignoranz, Gleichgültigkeit, wie es den Menschen geht, Hauptsache den Konzernen geht es gut? So ist doch leicht auszurechnen, dass Hartz IV zur Zerstörung von Partnerschaften und von Familien beitragen wird, ebenso wie zu Heimlichkeiten und Betrug, Missgunst und Denunziantentum. Mit Hartz IV dirigiert der Staat das Privatleben der Menschen in einem bislang noch nicht dagewesenem Maße und schnüffelt in ihm herum.
In dem 12 – 16 seitigen Fragebogen zum Antrag auf ALG II wird eine Fülle von persönlichen Daten abgefragt und gesammelt, wie wir es uns bei der Volkszählung in unseren schlimmsten Alpträumen nicht haben träumen lassen. Insgesamt werden es ca. 20 Mio Betroffene sein, die in irgendeiner Weise dadurch beleuchtet werden. Da wird gefragt, ob man mit jemandem zusammen lebt, und es wird nach den persönlichen Verhältnissen des Partners gefragt. Nicht er selbst direkt, sondern sein Arbeitgeber soll Auskunft über seinen Verdienst geben. Gefragt wird, welche Leute nicht nur in der Wohnung, nein, welche auch im Haus wohnen und in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie zum Antragsteller, der Antragstellerin stehen. Die wiederum wird unter der Rubrik Vermögenswerte nach ihrem Schmuck gefragt usw. usw.
Was können wir tun?
Protestieren, protestieren, protestieren! Aber auch: Zusammenrücken in den Kommunen. Keine Chance der Schnüffel- und IM-Mentalität. Dreht den Spieß lieber um: Schaut dem Rat auf die Finger. Laßt nicht zu, dass er die Entwicklung zu Billigjobs und Leiharbeit auch noch stützt, indem er für die 1 Euro/Std. Arbeitsgelegenheiten abstimmt, statt dafür wenigstens ABM- Maßnahmen einzurichten. Schaut dem Rat auf die Finger, damit er wenigstens beim Wohngeld wirklich den Menschen und den Bielefelder Verhältnissen angemessene Mietkosten übernimmt. Schaut dem Rat auf die Finger, damit er wenigstens garantiert, dass die von Hartz IV jetzt unmittelbar Betroffenen am 1.1. 2005 überhaupt etwas bekommen. Und schaut dem Rat immer auf die Finger, was er überhaupt mit dem Geld macht, ob er wieder unsere Steuergelder für die Infrastruktur für einen Investor ausgibt, der dann seine Abschreibung einstreicht und einen Neubauleerstand mitten in der Stadt fabriziert wie beim Amerikahaus. Wofür auch noch ein ehemals lebendiger Platz leer und tod liegt, wie der sog. Neumarkt.
Wir brauchen Hartz IV nicht, wir brauchen diese ganzen Reformen nicht, die nur die Umverteilung von unten nach oben betreiben. Wir brauchen gerade auch in dieser Stadt Bielefeld eine echte Bürgerinnen- und Bürger-Mitbestimmung. Vielleicht so, wie in der Stadt Porto Alegre in Brasilien, wo die Bürger nach Stadtteilen und in Räten organisiert über die städtischen Ausgaben bestimmen.
Porto Alegre ist auch die Stadt des Sozialforums. Auch in Bielefeld gibt es eine Initiative für ein Sozialforum. Kommt, schließt Euch uns an in einer Bewegung für soziale Gerechtigkeit, für ein friedliches Zusammenleben in Bielefeld und für eine lebenswertes OWL.